Trotz intensiver sonderpädagogischer Förderung ist es für einige Jugendliche aufgrund ihrer individuellen Problemlage nicht möglich, selbst den Unterricht einer sonderpädagogischen Kleinstgruppe erfolgreich zu besuchen oder kontinuierlich an ihm teilzunehmen.
Die Gründe hierfür sind vielschichtig: Diese Jugendlichen bedürfen häufig besonderer individualisierter Förderangebote, die im Unterricht einer Großgruppe nicht realisiert werden können. Dies hat zur Folge, dass es für diese Schülergruppe immer schwieriger wird, einen qualifizierten Abschluss zu erreichen und demzufolge auch nur schwer eine berufliche Perspektive entwickelt werden kann. Zudem handelt es sich hier um Jugendliche, die häufig ein oder mehrere Schuljahre wiederholen mussten und die aufgrund ihrer Schulabstinenz oder ihres verweigernden Lern- und Leistungsverhaltens erhebliche Lernlücken haben und daher nur schwer zu einem Schulabschluss geführt werden können. Auch haben viele der Jugendlichen den zusätzlichen Förderschwerpunkt Lernen. Dieser Förderbedarf wurde häufig erst spät ermittelt oder aber ihre Verhaltensauffälligkeiten sind so gravierend, dass sie an einem anderen Förderort nicht erfolgreich gefördert werden können. Schule ist für viele dieser Schülerinnen und Schüler ein Ort, in dem sie Schwierigkeiten hatten, dem Unterricht zu folgen und sich selbst immer häufiger als Versager erleben.
Der Aspekt der individuellen Förderung und Lebensbewältigung auch ohne Perspektive auf einen Schulabschuss steht daher immer häufiger für diese Schülergruppe im Mittelpunkt der schulischen Förderung der Sekundarstufe I.
Es besteht daher die Notwendigkeit, einer einzelfallbezogenen, abgestimmten schulischen und berufsvorbereitenden Förderung, um den Kreislauf von Misserfolg, Abbruch und Frustra-tion zu durchbrechen und Wege für ein eigenverantwortlich geführtes Leben zu ermöglichen.
Um diesen spezifischen Problemlagen pädagogisch zu begegnen, wurde in unserer Schule ein Werkstattklassenkonzept entwickelt und eine Werkstattklasse eingerichtet.
Das Angebot der Werkstattklasse spricht grundsätzlich drei Schülergruppen an:
2. Personelle Ressourcen
Die Werkstattklasse wird im Team von einer sonderpädagogischen Lehrkraft und einem Handwerksmeister geführt. Diese arbeiten gleichberechtigt zusammen und entwickeln für jede Schülerin / jeden Schüler ein individuelles Curriculum, ( siehe Anlage ) in welchem die Arbeit in den Werkstätten, der Förderplan und die Arbeit in der Klasse miteinander vernetzt werden.
3. Gruppengröße in der Werkstatt
Bei den SchülerInnen der Werkstattklasse handelt es sich zumeist um männliche Jugendliche, denen es sehr schwer fällt, in größeren Gruppen zu bestehen und erfolgreich und kontinuierlich dem Unterricht zu folgen und deren Verhaltensauffälligkeiten so über die üblichen Erscheinungsformen hinausgeht, dass eine Schwerstbehinderung nach § 10 AO-SF vorliegt. Daher sollte eine Gruppengröße von acht Schülern nicht überschritten werden. Zum Einen, um eine intensive Betreuung in den Werkstätten und im Klassenunterricht zu gewährleisten und zum Anderen, um für diese Schüler lange Wartezeiten an den Werkzeugen und Maschinen der Werkstätten zu vermeiden.
Die Werkstattklasse soll ihren Schülerinnen und Schülern folgende Möglichkeiten bieten:
5. Die Arbeit in der Werkstattklasse
Das Konzept basiert auf drei tragenden Säulen:
Der Werkstattbereich der JGS hat seinen Schwerpunkt im Bereich der Holz- und Metallverarbeitung, bezieht aber auch andere Materialien und Berufsfelder mit ein ( Fliesen – und Instandhaltungsarbeiten, Maschinentechnik, Maler- und Lackiererarbeiten).
Die Werkstatt wird von einem Handwerksmeister geleitet. Es werden möglichst Produkte erstellt, die einen Nutz – und/oder persönlichen Wert für den einzelnen Schüler oder die Schulgemeinschaft haben.
Entscheidend ist die Projektplanung mit Beteiligung der Schülerinnen und Schüler, aus der sich konkrete Schritte zu einer handlungsorientierten pädagogischen Umsetzung der Projektziele ergeben.
Wesentlich für die Arbeit in der Werkstattklasse ist die für jede Schülerin / jeden Schüler individuell vorgenommene Verknüpfung vom Werkstattunterricht, dem Unterricht in der Klasse und dem Förderplan in einem individuellen Schülercurriculum.
Nach einer Erprobungsphase werden die SchülerInnen, ihren Fähigkeiten und Interessen entsprechend, einem Werkbereich (Holz oder Metall) zugeteilt. Anschließend wird mit der Schülerin / dem Schüler ein realistisches Ziel formuliert. Ein solches Ziel kann ein Qualifizierungsbaustein, der Maschinenschein oder aber auch die Erlernung eines Arbeitschrittes, bzw. die Bedienung einer Maschine, sein. Dann wird gemeinsam überlegt, wie und in welchem zeitlichen Rahmen dieses Ziel erreicht werden kann. Anschließend wird überlegt, wie der Inhalt der Werkstattarbeit in den Unterricht der Hauptfächer in der Klasse eingebaut und dies mit dem für die Schülerin / den Schüler individuell angefertigten
Förderplan verknüpft werden kann. Diese Verknüpfung gilt als Curriculum für die kurz- und mittelfristige Arbeit mit der Schülerin / dem Schüler.
Elternarbeit und die Zusammenarbeit mit beteiligten helfenden Institutionen (Jugendberufs-hilfe, Berufseinstiegsbegleiter, Jugendamt, Kinder- und Jugendpsychotherapeuten, Arbeits-amt, Betriebe) sind wichtige Bestandteile des Konzepts. Hierbei werden die Eltern je nach Möglichkeit von Beginn an in die Planung eingebunden. Der rechtzeitige und kontinuierliche Kontakt mit Wirtschafts- und Ausbildungsbetrieben in Form von Betriebserkundungen sowie unterschiedlichen Praktika oder Praxistagen ist dabei wesentlicher Bestandteil dieses Konzepts. Wenn möglich, soll in den Schülerbetriebspraktika den Schülerinnen und Schülern die Chance gegeben werden, die im Werkstattunterricht erworbenen Fähigkeiten in einem Betrieb zu erproben. Hierbei ist es wichtig, dass die SchülerInnen auch ein Praktikum in einem Berufsbild machen, in welchem sie auch eine realistische Zukunftsperspektive haben.
6. Inhaltliche Verknüpfung von Förderplan, Klassen – und Werkstattunterricht
Der Handwerksmeister und die sonderpädagogische Lehrkraft stehen ständig im regen Austausch, um sich über Unterrichtsvorhaben abzustimmen, einen Bezug zwischen dem Unterricht in der Klasse und der Werkstatt herzustellen, ihre Arbeit theoretisch vor – und nachzubereiten. Schulische und handwerkliche Inhalte, sowie die sonderpädagogische Förderung werden vernetzt und didaktisch – methodisch immer wieder miteinander verzahnt.
Theorie-Praxis-Bezug
Theoretische Kenntnisse und erworbenes Wissen werden im Werkstattunterricht praktisch umgesetzt – praktische Erfahrungen und Problemstellungen werden im Schulunterricht theoretisch aufgearbeitet.
Motivationssteigerung
Die SchülerInnen erfahren sofort den Sinn und Nutzen von theoretischem Wissen. Sie werden wieder zum schulischen Lernen motiviert, da ihnen klar wird, wozu sie schulische Lerninhalte brauchen. Zudem erfahren die SchülerInnen über die Vermittlung von unmittelbar erlebbaren Erfolgserlebnissen, dass sie etwas Wertvolles leisten können. Sie sind wichtige Akteure eines Herstellungsprozesses, in dem jeder von ihnen wichtig ist und etwas erreichen kann und sie wieder eine besondere Wertschätzung erfahren.
Handlungsbezogenes und ganzheitliches Lernen
Das Erlernte nimmt im Verlauf eines Herstellungsprozesses für die SchülerInnen Gestalt an.
Das Lernen kann über alle Sinneskanäle erfolgen und somit können die Möglichkeiten individueller sonderpädagogischer Förderung erheblich mehr ausgeschöpft werden.
Handwerkliche und ausbildungsrelevante Schlüsselqualifikationen
Neben Grundvoraussetzungen wie z.B. Pünktlichkeit, Sauberkeit, Gründlichkeit, Ausdauer,… soll den SchülerInnen deutlich gemacht werden, dass in einem Produktionsprozess Werte wie Kommunikationsbereitschaft, Kooperation und auch Konfliktfähigkeit unerlässlich sind, um in einer Gruppe erfolgreich arbeiten zu können. Um ein Produkt erfolgreich herstellen zu können, muss man in der Lage sein, genau und exakt unter Berücksichtigung der gängigen Sicherheits- und Hygienevorschriften über längere Zeit konzentriert arbeiten zu können. Verkaufen kann man nur etwas, wenn man sich an Umgangsformen halten kann… .
Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen
Dieses schafft Respekt vor anderen Professionen und lässt den Nutzen von Teamarbeit direkt erlebbar werden.
Steigerung der Berufsorientierung
Einem Beruf, einer Arbeit nachgehen kann für den Menschen mehrere Bedeutungen haben. Zum einen kann Arbeit zur wirtschaftlichen Unabhängigkeit, zu mehr Lebensqualität führen. Zum anderen kann Arbeit für den Menschen ein Sinn gebendes Element sein. Hier kann die Werkstattklasse den SchülerInnen helfen, für sich Berufsfelder zu finden, in denen sie wieder sinnstiftende Inhalte für ihr zukünftiges Leben entdecken können.
Zusammenfassung
Die Werkstattklasse ist ein Angebot für Schülerinnen und Schüler, die es trotz vielfältiger Förderangebote nicht schaffen, dem Unterricht einer Förderschule zu folgen und für die es schwierig wird, einen qualifizierten Schulabschluss im vorgeschriebenen Zeitrahmen der Sekundarstufe 1 zu erreichen. Hier wird für die Schülerinnen und Schüler ein individuelles Curriculum erstellt, in welchem die schulischen Lehrpläne, die Arbeit in den Werkstätten und die Förderpläne miteinander verknüpft und aufeinander bezogen werden. Die Schülerinnen und Schüler sollen Schule wieder als Ort erleben, in dem sie etwas leisten können. Wichtig ist dabei die unmittelbare Vermittlung von Erfolgserlebnissen, die zu einer deutlichen Stabilisierung ihres Selbstwertgefühls beitragen. Sie sollen Qualifizierungsbausteine im Holz oder Metallbereich erwerben und im Rahmen einer gezielten Berufsorientierung eine Ausbildungsreife erzielen können.
Nicolas Henning, Handwerksmeister in der Werkstattklasse
Markus Prinz, Lehrer für Sonderpädagogik in der Werkstattklasse